Was ist Performatrix?

Performatrix ist ein Künstlerkollektiv für innovative Oper.

Und zwar für alle Gewerke: erzählerisch und musikalisch ebenso wie in der Bühnen-Ästhetik und im Publikum. Im Kern wird dabei die alte Schallmauer zwischen U- und E-Musik weiter perforiert, wodurch besonders jungen Menschen der Zugang zu Opernhäusern aufgesprengt werden könnte.

Das Kunstwort Performatrix ist dazu der Schlüssel. Es ist zusammengesetzt aus lateinisch performare (durchbilden, ausgestalten) und Matrix (Raster, Muster). In der figurativen Verwendung bedeutet Matrix aber auch Nährboden. Performatrix will also den Nährboden bereiten, auf dem sich Kunst in die unterschiedlichsten Richtungen entwickeln kann - entlang einer strukturierten Matrix. Die vier Mitglieder:innen bündeln in den Projekten ihre sehr gegensätzlichen Backgrounds und Haltungen unter dem Ziel, neue Möglichkeiten in der Opernproduktion zu nutzen, um auch mit alten Stoffen hier und jetzt relevant zu sein.

Komponist Wulfin Lieske und Dramaturg Stephen Ibbotson bildeten in dem Kollektiv die Keimzelle, die bald um die Autorin Sancia Fischbein und den Spiele-Entwickler Julian Reinartz erweitert wurde. Derzeit arbeitet die Gruppe an einer inszenatorischen Oberfläche für das Musiktheater-Epos, die zwischen Heldensage von opernhafter Dimension und „World of Warcraft“ oszilliert.

Das erste gemeinsame Projekt basierte auf dem Roman „Thérèse Raquin“ von Emile Zola. Die Oper erzählt in überwiegend atonaler Wucht Thérèses verzweifelten Versuch eines Ausbruchs aus einem kleinstbürgerlichen Pariser Milieu. Statt in erotischer Selbstbestimmung und Freiheit endet ihr Leben in Wahnvorstellungen, Psychosen und Mord. Sancia Fischbein lässt dieses gänzlich heldenfreie und moralisch morastige Milieu als das erkennen, wofür es zu Zolas Zeiten noch keinen Namen gab. Es ist Pulp Fiction, auf deutsch: Trivialliteratur – allerdings in raffiniertester Form. Der Mord des ebenso kränklichen wie ungeliebten Gatten wird aus verschiedenen Perspektiven eingekreist. Mal wirkt er wie die logische Konsequenz vorangegangener Handlungen – wie ein Domino-Stein, der fallen muss, sobald der erste angestoßen ist. Mal wirkt der Mord banal. Und mal niederträchtig. Aber immer wirken die Gefühle bedrückend zeitlos und jetzig.

Musikalisch spiegeln sich die Perspektiven in ganz unterschiedlichen Texturen wider. So ist etwa die Welt der Domino-Spieler:innen wie eine Tapete aus vokalen Geschwätzigkeiten angelegt. Das Sehnsuchtsmotiv der Therese dagegen ist in instrumental-Intermezzi zum Thema Wasser gebettet. Dabei überzeichnet Lieske die tragisch-komischen Figuren überlässt sie Ihrem unheilvollen Spiel vor der Folie einer kosmischen Schönheit, übermenschlich und zugleich gleichgültig.

Künstlerisches Team

Die Chance zur ästhetischen Diversifikation spiegelt sich schon in der Zusammensetzung des Kern-Teams. Die Keimzelle bildeten Komponist Wulfin Lieske und Dramaturg Stephen Ibbotson. Lieske, der über viele Jahre die Ästhetik der Spanischen Romantik mit Einspielung auf historischen Gitarren prägte, wandte sich seit Mitte der 90er Jahren der Neuen Musik zu und schuf mit „Über den Wassern“ (Weltausstellung Hannover, 2000) und „Dreamtime“ (Uraufführung Kölner Philharmonie, 2013) zwei international gefeierte Großkompositionen. Neben Violin-, Klavier- und Klarinettenkonzerten schuf er einen Klavierzyklus sowie diverse Vokal- und Kammermusiken. 2019 wurde am Nationaltheater Bratislava seine Bühnenmusik zu Milan Sládek „Die Magischen vier“ uraufgeführt. Bei den großen Partituren sind es vielleicht am ehesten György Ligeti und Richard Wagner, die durchschimmern, was aber jeder Zeit durch Jazz-Anleihen, Elektronik, Didgeridoo oder orientalische Rhythmik gebrochen werden kann. "Innovation in der Oper kann verschiedene Formen annehmen, z. B. das Experimentieren mit neuen Musikstilen, das Erforschen unkonventioneller Erzähltechniken und die Nutzung moderner Technologien, um das Gesamterlebnis zu verbessern. Innovation ist für die Vitalität der Oper unerlässlich."

Der Australier Stephen Ibbotson war es, der Lieske für die zeitgenössische Oper entflammte. Als Opernsänger führte ihn seine Karriere über die Australien Opera und das Badische Staatstheater an das Staatstheater Stuttgart und diverse europäische Bühnen. Neben dem klassischen Repertoire des 18. und 19. Jahrhunderts waren es vor allem Benjamin Britten und Alban Berg, die ihn begeisterten. Dabei hat er mit renommierten Dirigenten wie Kirill Petrenko und Richard Bonynge und Regisseuren wie Christof Nel, Christine Mielitz und George Delnon zusammengearbeitet. Stephen Ibbotson ist Koordinator und dramaturgischer Experte für das kreative Team. „Die Oper kann als Genre in einer Sackgasse enden, wenn sie nicht neue Wege beschreitet und sich neu definiert,“ diagnostiziert der Australier.

Wenn man den musikalischen Background von Lieske und Ibbotson noch grob unter dem Etikett E-Musik fassen kann, so fallen die Neuzugänge Sancia Fischbein und Julian Reinartz komplett aus dem Rahmen. Sancia Fischbein studiert kreatives Schreiben in Hildesheim. Sich mit den besonderen Erfordernissen eines Librettos vertraut zu machen, fiel ihr leicht, obwohl sie zuvor keinerlei Opernbezug hatte. Ihr Poetry-Slam-Background machte es für sie zu etwas ganz Natürlichem, dem Rhythmus und der Farbe der Sprache nachzuhorchen. Ihre Texte erschienen in verschiedenen Literatur-Zeitschriften sowie in den Anthologien Hyper und Landpartie der Edition Pächterhaus. Sie ist Mitautorin von "Rebel Books" (Hanser Verlag, 2021). Für „Domino“ hat sie einen opernuntypischen Duktus gefunden, der den Pulp Fiction-Kern von Emile Zola freilegt. "Wenn die Oper stagniert und sich nicht weiterentwickelt, läuft sie Gefahr, vorhersehbar zu werden und sich von der heutigen Gesellschaft abzukoppeln. Eine Neudefinition sichert die Relevanz der Oper."

Seit Mitte 2022 ist nun auch Julian Reinartz an Bord. Und mit ihm eine ganz neue Welt: Die Gamer Welt. Reinartz hat Gaming-Design und Media-Design in Düsseldorf studiert und seither in verantwortlicher Position Spiele entwickelt und programmiert. Er gründete die Firma Frame 6 und produzierte Spiele und Visualisierungen für Unternehmen wie Ubisoft, Astragon, Mercedes und RWE. Nachdem er Frame 6 in das renommierte Holocafe, einen VR-Raum, umgewandelt hatte, wechselte er zu Headup, heute Teil der globalen Thunderful Group. Sein neuer Schwerpunkt verlagerte sich von Spiel, Leveldesign und Betrieb auf die Rolle des Projektmanagers für das Spiel Tinkertown. "Genauso wie Videospiele sich ständig erneuern, um die Spieler zu fesseln, sollte auch die Oper den Wandel annehmen und nach Wegen suchen, sich selbst neu zu erfinden, indem sie Tradition und Moderne miteinander verbindet, um fesselnde Erlebnisse zu schaffen, die das heutige Publikum ansprechen."

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